19 Januar 2023
Quantensimulator ermöglicht erste mikroskopische Beobachtung von Ladungsträger-Paaren
Ein Forscherteam am MPQ hat zum ersten Mal experimentell verfolgt, wie sich Löcher (positive Ladungsträger) in einem Festkörpermodell zu Paaren zusammenschließen könnten. Dieser Vorgang könnte eine wichtige Rolle bei Verständnis von Hochtemperatursupraleitern spielen.
Forscherinnen und Forscher am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) haben mit Hilfe einer Quantensimulation Paare von Ladungsträgern sichtbar gemacht, die möglicherweise für den widerstandslosen Stromtransport in Hochtemperatur-Supraleitern sorgen. Bislang sind die genauen physikalischen Mechanismen in diesen komplexen Werkstoffen noch weitgehend unbekannt. Theorien gehen davon aus, dass die Ursache für die Paarbildung und damit für das Phänomen der Supraleitung in magnetischen Kräften liegt. So entstandene Paare konnte das Team in Garching nun zum ersten Mal experimentell nachweisen. Die Grundlage dafür bildete eine gitterförmige Anordnung von kalten Atomen sowie ein trickreiches Unterdrücken der Bewegung freier Ladungsträger. Darüber berichten die Forscherinnen und Forscher im Magazin „Nature“.
Seit der Entdeckung von Hochtemperatur-Supraleitern vor rund 40 Jahren versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren grundlegenden quantenphysikalischen Mechanismen auf die Spur zu kommen. Doch immer noch geben die komplexen Materialien Rätsel auf. Die neuen Erkenntnisse eines Teams an der Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ) in Garching erlauben nun einen ersten mikroskopischen Einblick in Prozesse, die sogenannten unkonventionellen Supraleitern zu Grunde liegen können.
Entscheidend für jede Art von Supraleitung ist die Bildung von fest verknüpften Paaren aus Ladungsträgern – Elektronen oder Löchern, wie Orte fehlender Elektronen genannt werden. „Die Ursache dafür liegt in der Quantenmechanik“, erklärt MPQ-Physikerin Sarah Hirthe: Jedes Elektron oder Loch trägt einen halbzahligen Spin – eine quantenphysikalische Größe, die man sich als Maß für eine Drehbewegung des Teilchens vorstellen kann. Auch Atome besitzen einen Spin. Aus quantenstatistischen Gründen können sich aber nur Partikel mit ganzzahligem Spin unter bestimmten Bedingungen widerstandlos durch ein Kristallgitter bewegen. „Deshalb müssen sich Elektronen oder Löcher dazu paarweise zusammenfügen“, sagt Hirthe. In konventionellen Supraleitern helfen Gitterschwingungen, die Phononen, bei der Paarung. In nichtkonventionellen Supraleitern dagegen ist ein anderer Mechanismus wirksam – aber die Frage, welcher das ist, blieb bisher unbeantwortet. „In einer weit verbreiteten Theorie spielen indirekte magnetische Kräfte eine entscheidende Rolle“, berichtet Sarah Hirthe. „Doch das ließ sich bislang nicht experimentell bestätigen.“
Mit Löchern gespicktes Festkörpermodell
Dem Team am MPQ ist es nun gelungen zu zeigen, dass die magnetischen Kräfte tatsächlich zu Paaren führen. Dazu nutzten sie einen experimentellen Trick. „Bewegliche Ladungsträger in einem für Hochtemperatur-Supraleiter typischen Festkörper, unterliegen einem Wettstreit verschiedener Kräfte“, erklärt Hirthe. Zum einen haben sie den Drang, sich auszubreiten, also möglichst überall gleichzeitig zu sein. Das verschafft ihnen einen energetischen Vorteil. Zum anderen sorgen magnetische Wechselwirkungen für eine regelmäßige Anordnung der Spinzustände von Atomen, Elektronen und Löchern – und vermutlich auch die Bildung von Ladungsträger-Paaren. Allerdings: „Die Konkurrenz der Kräfte hat es bisher verhindert, solche Paare mikroskopisch zu beobachten“, sagt Timon Hilker, der die Forschungsgruppe leitet „Deshalb hatten wir die Idee, die störende Bewegung der Ladungsträger in einer Raumrichtung zu unterbinden.“
Ein scharfer Blick durchs Quantengasmikroskop
Die Forscherinnen und Forscher am MPQ planen nun neue Experimente an komplexeren Modellsystemen, in denen große zweidimensionale Netze von Atomen miteinander verbunden sind. Damit, so die Hoffnung, werden mehr Lochpaare entstehen – und es wird sich auch deren Bewegung durch das Atomgitter beobachten lassen: der widerstandlose Stromtransport durch die Supraleitfähigkeit.
Quelle: MPQ
Publikation
Magnetically mediated hole pairing in fermionic ladders of ultracold atoms
S. Hirthe, T. Chalopin, D. Bourgund, P. Bojović, A., E. Demler, F. Grusdt, I. Bloch & T. A. Hilker.
Nature 613, pages 463–467 (2023)
DOI:
10.1038/s41586-022-05437-y
Quelle: MPQ
KontaKt
Sarah Hirthe
Doctoral candidate
Max Planck Institute of Quantum Optics
sarah.hirthe[at]mpq.mpg.de
Prof. Dr Immanuel Bloch
Director
Max Planck Institute of Quantum Optics
immanuel.bloch[at]mpq.mpg.de
Katharina Jarrah
PR and Communications
Max Planck Institute of Quantum Optics
katharina.jarrah[at]mpq.mpg.de